Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen
in der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im
Deutschen Anwaltverein,
nach den Erhebungen der Creditreform ging die Zahl der Insolvenzen auch im Jahr 2017 im 7. Jahr in Folge weiter zurück und erreichte den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2003. Trotzdem kann man in der Praxis nicht feststellen, dass die verspätete Antragstellung, die zu Insolvenzverschärfungen führt, zurückgegangen ist.
Der in diesen Tagen fertiggestellte Entwurf des Koalitionsvertrages enthält auch einige Ausführungen zum Insolvenzrecht. Die Aussage, dass im Insolvenzrecht der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger ohne Einschränkung bewahrt werden soll, lässt hoffen. Fraglich ist, ob man auch so weit geht, in der Vergangenheit begründete (faktische) Vorrechte zurückzusetzen.
OECD-Untersuchungen belegen, welche nachteiligen Auswirkungen Zombie-Unternehmen, d. h. Unternehmen, die keine Ertragskraft mehr haben, aber gleichwohl nicht aus dem Markt ausscheiden, auf die Branche, die Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen, die Erneuerungskraft der Unternehmen und deren allgemeinen Zugang zum Kapitalmarkt haben. Eine Pflicht zur Insolvenzantragstellung, die ausschließlich auf eine liquiditätsmäßige Betrachtung abstellt, verhindert keine Insolvenzvertiefung, wenn man den in der Praxis entwickelten Cocktail möglicher Liquiditätsschöpfungsmaßnahmen, von einer Spreizung der Fälligkeit zwischen Einnahmen und Ausgaben, über Factoring und Einräumung größerer Zahlungsfristen bis zur Aufnahme von (hybriden) Anleihen etc., betrachtet. Die Insolvenzanalyse zeigt, dass diese Liquidität häufig nur der Deckung eines übermäßigen Liquiditätsbedarfes bei anhaltend negativer Ertragskraft diente.
Ein effektives Insolvenzsystem schafft die erforderlichen Anreize dafür, dass sanierungsfähige Unternehmen rechtzeitig den Turnaround einleiten, ihre operative und finanzwirtschaftliche Ertragskraft zurückgewinnen oder aus dem Markt aussteigen (müssen). So wird das Entstehen von Verlusten, die von anderen zu tragen sind, verhindert; eine Belastung und/oder Infizierung öffentlicher Kassen und gesunder Unternehmen unterbleibt.
Der kommende Deutsche Insolvenzrechtstag, die bevorstehende ESUG-Evaluation, aber auch die weitere Diskussion über den präventiven Restrukturierungsrahmen, der eine zusätzliche, vom Insolvenzverfahren zeitlich und wirtschaftlich getrennte Beiordnungsmöglichkeit für Finanzverbindlichkeiten ermöglichen soll, sowie die Fragen der Effektivität und Insolvenzrecht und strukturpolitischer Maßnahmen stehen auf der Diskussionsagenda der nächsten Monate.
Insoweit darf ich Sie auf die kommenden interessanten Veranstaltungen hinweisen und hoffe auf eine rege Teilnahme.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Rechtsanwalt Jörn Weitzmann
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung
im Deutschen Anwaltverein