Pressemitteilung

Nr. 07/20: Debatte um Insolvenzantragspflicht: Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gilt nicht schrankenlos

– Handlungspflichten für Geschäftsführer bestehen auch heute –

– Prüfung aller Sanierungsmöglichkeiten von besonderer Bedeutung – Geschäftsführer riskieren persönliche Haftung bei Untätigkeit in der Krise –

Berlin, 01.09.2020 Im März hatte der Gesetzgeber eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht angeordnet. Diese soll nach jüngster Verständigung der Koalition für den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit zum 30. September 2020 auslaufen und bezüglich des Insolvenzgrundes der Überschuldung bis zum 31. Dezember 2020 verlängert werden. Die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) begrüßt die Rückkehr zu den sinnvollen Maßstäben der Insolvenzordnung bei der Frage, wann ein Insolvenzantrag zwingend zu stellen ist. Der starke Rückgang der Insolvenzfälle in den letzten Monaten gibt allerdings Anlass zur Besorgnis, dass viele Geschäftsführer derzeit die auch heute bestehenden Handlungspflichten in der Unternehmenskrise nicht beachten – denn auch bisher gilt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht schrankenlos.

 

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 gilt nur für Unternehmen, bei denen der Eintritt des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf die COVID 19-Pandemie zurückzuführen ist. Unternehmen, bei denen eine planerische Betrachtung schon zum Ende des Jahres 2019 ergeben hat, dass diese keine mittelfristige Fortführungsprognose haben, hätten schon damals bei Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen müssen und müssen das auch heute. Gerade in sich wandelnden Branchen wie der Textilbranche, dem Einzelhandel oder der Automobilindustrie hat es in den vergangenen Jahren trotz der allgemein guten wirtschaftlichen Lage immer Insolvenzfälle gegeben – das wäre ganz unabhängig von der Pandemie auch in diesem Jahr zu erwarten gewesen. Offenbar stellen aber auch diese Unternehmen seltener Insolvenzanträge.

Auch bei den tatsächlich durch die COVID 19-Pandemie in die Krise gestürzten Unternehmen ist eine Insolvenzantragspflicht nicht vollständig ausgeschlossen. Befindet sich das Unternehmen nämlich bereits in der akuten Zahlungsunfähigkeit, hat also mehr offene fällige Forderungen gegen sich als Geldmittel um diese zu erfüllen, darf der Insolvenzantrag nur unterbleiben, solange Aussichten bestehen, die Zahlungsfähigkeit wieder herzustellen. Gerade bei denjenigen Unternehmen, deren Tätigkeit weiterhin durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beschränkt wird, wie Gastronomen oder Veranstaltungsanbietern, wird die Planung aber oft ergeben, dass auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht mit einer echten Verbesserung der wirtschaftlichen Situation zu rechnen ist. Hier gilt auch heute eine Insolvenzantragspflicht für die Geschäftsführer.

„Wer sich als Geschäftsführer auf die Schlagzeile ‚Insolvenzantragspflicht ausgesetzt‘ leichtfertig verlässt, begibt sich in ein hohes Haftungsrisiko. In einem späteren Insolvenzverfahren kann der Insolvenzverwalter alle Zahlungen von ihm persönlich zurückfordern, die nach Eintritt einer tatsächlich doch greifenden Insolvenzantragspflicht aus einer Gesellschaft noch erbracht wurden“, warnt Rechtsanwalt Jörn Weitzmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein. Darüber hinaus schützt die Aussetzung der Antragspflicht in keinem Fall davor, dass Vertragspartner den Geschäftsführer in Haftung nehmen, wenn dieser noch Verträge für die eigentlich zahlungsunfähige Gesellschaft geschlossen hat, ohne den Vertragspartner über das Risiko eines Zahlungsausfalles aufzuklären.

Nicht nur zur Vermeidung einer Haftung kann aber der Insolvenzantrag ein richtiger Schritt sein. „Das deutsche Insolvenzrecht ist gut dafür aufgestellt, dass Unternehmen mit einem gesunden Kern die Krise auch wieder überwinden können. Sei es, dass die Gesellschaft über einen Insolvenzplan saniert wird oder sei es, dass zumindest der Geschäftsbetrieb im Rahmen einer übertragenden Sanierung fortgeführt werden kann“, so Weitzmann. „Wichtig ist an dieser Stelle, dass die Sanierung deutlich wahrscheinlicher ist, wenn das Insolvenzverfahren frühzeitig eingeleitet wird. Dann stehen noch finanzielle Mittel zur Verfügung, um eine Fortführung zu ermöglichen, aber auch andere Beteiligte wie Kunden, Lieferanten und Arbeitnehmer haben das Vertrauen in das Unternehmen noch nicht gänzlich verloren.“ Geschäftsführer sollten sich daher gerade in der aktuellen Lage umfassend informieren, um rechtzeitig die richtige Entscheidung zu treffen – für ihr Unternehmen, für ihre Mitarbeiter und auch für sich selbst.

 

Die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) ist ein Zusammenschluss von über 1.300 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, deren berufliches Interesse sich besonders auf das Insolvenzrecht und die Sanierung von Unternehmen richtet. Die Arbeitsgemeinschaft ist seit November 1999 als Arbeitsgemeinschaft im DAV organisiert. Sie ist bundesweit die größte deutsche Vereinigung von Insolvenzrechts- und Sanierungsexperten. Der Deutsche Insolvenzrechtstag, den die Arbeitsgemeinschaft 2004 ins Leben gerufen hat, ist die größte insolvenzrechtliche Veranstaltung in Europa. Darüber hinaus veranstaltet die Arbeitsgemeinschaft seit 2012 einmal jährlich den Europäischen Insolvenzrechtstag / European Insolvency & Restructuring Congress (EIRC) in Brüssel.

 

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