„Kennzahlen sind für die Insolvenzverwalterauswahl ein untaugliches Instrument, dessen Anwendung fatale Konsequenzen haben kann“, betont Rechtsanwalt Jörn Weitzmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft. Die Kennzahlensysteme bergen die Gefahr einer autosuggestiven Wirkung und sind anfällig für manipulative Techniken. Dass eine wirkliche Gleichverteilung der Verfahren zur Ermittlung einer gerechten Kennzahl gegeben ist, ist fraglich.
Abgefragt würden teilweise gegenläufige Kennzahlen, von denen nicht erkennbar ist, wie sie miteinander korrelierten. So bedinge etwa eine hohe Effektivität bei der Durchsetzung von gesellschaftsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Ansprüche in der Regel eine längere Verfahrensdauer. Dem stehe die gewünschte „schnelle“ Abwicklung gegenüber. Auch eine Kennzahl über den Erhalt von Arbeitsplätzen passe in die politische Diskussion, sage jedoch nichts darüber aus, ob und inwieweit dieser dauerhaft oder durch ein Entgegenkommen in anderen Bereichen entstanden sei. Die Richter, die mit Kennzahlen arbeiten, seien nicht bereit, ihr Bewertungssystem transparent offenzulegen.
Weitzmann zeigt sich vor diesem Hintergrund angesichts der Diskussion um die Einführung von Kennzahlensystemen verwundert. „Kennzahlensysteme sind nicht geeignet, die bestehenden Transparenz-, Effektivitäts- und Effizienzprobleme, die teilweise zu Recht moniert werden, zu beheben. Dazu bedarf es professioneller Insolvenzrichter, kompetenter und unabhängiger Insolvenzverwalter, einer leistungsfähigen Justizverwaltung und engagierter Gläubiger. Das ist auch keine Frage von ‚großen‘ oder ‚kleinen‘ Gerichten.“
Wichtigste Voraussetzung: die Unabhängigkeit des Verwalters Mit den Kennzahlen wird ein wesentliches, wenn nicht gar das wesentlichste Entscheidungskriterium nicht abgefragt: die Unabhängigkeit des Verwalters.
Häufig versuchen Beteiligte, in Insolvenzverfahren aus bestehenden Informationsasymmetrien ungerechtfertigte Vorteile zu erzielen. Die so genannten „Informationsinsider“ – wie die Gesellschafter, die Organe des Unternehmens und nahestehende Vertragspartner – sind die Ersten, die von der Unternehmenskrise erfahren. Es gilt dann sicherzustellen, dass die volkswirtschaftlich richtigen Maßnahmen für das Unternehmen getroffen werden. Dazu dient beispielsweise das Anfechtungsrecht, das ungerechtfertigte Vorteile, die einzelne nach Eintritt der Krise erlangen, zugunsten der Masse zurückführt.
Insolvenzverwalter: Präsenz vor Ort entscheidendes Kriterium
Weitzmann sieht unter anderem die Örtlichkeit des Insolvenzverwalters als ein bewährtes und tragfähiges Kriterium für die Verwalterauswahl. „Der Verwalter wird als natürliche Person bestellt. Seine persönliche Präsenz vor Ort im insolventen Unternehmen ist sehr wichtig für den Verlauf des Insolvenzprozesses.“ Insolvenzrichter übten teilweise bereits seit vielen Jahren ihre Tätigkeit aus und bildeten sich fachlich weiter. „Ihnen sollte es möglich sein, aus ihrem Sprengel auch die für den Einzelfall geeigneten Verwalter zu bestellen.“
Die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) ist ein Zusammenschluss von rund 1.500 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, deren berufliches Interesse sich besonders auf das Insolvenzrecht und die Sanierung von Unternehmen richtet. Die Arbeitsgemeinschaft ist seit November 1999 als Arbeitsgemeinschaft im DAV organisiert. Sie ist bundesweit die größte deutsche Vereinigung von Insolvenzrechts- und Sanierungsexperten. Der Deutsche Insolvenzrechtstag, den die Arbeitsgemeinschaft 2004 ins Leben gerufen hat, ist die größte insolvenzrechtliche Veranstaltung in Europa. Darüber hinaus veranstaltet die Arbeitsgemeinschaft seit 2012 einmal jährlich den Europäischen Insolvenzrechtstag / European Insolvency & Restructuring Congress (EIRC) in Brüssel.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Verwalter sich bundesweit bewerben können, hat dazu geführt, dass zahlreiche Verwalter in mehreren Bundesländern gleichzeitig „pitchen“, um auf diesem Wege eine bessere Ertragsfähigkeit zu erlangen. Das führt jedoch dazu, dass der Verwalter im Einzelfall unter Umständen weniger Zeit für das einzelne Verfahren hat. Daher hat das Kriterium der Örtlichkeit neben der Fachkunde und der Unabhängigkeit des Verwalters einen besonders hohen Stellenwert.